Mit seinem zehnbändigen Zyklus »Das Viertel« hat Gonçalo M. Tavares ein einzigartiges Werk in Form eines literarischen Chiado erschaffen, den er sukzessive mit illustren Persönlichkeiten bevölkert hat; wir machten bisher die Bekanntschaft mit den Herren Brecht, Valéry, Juarroz und Henri. Jeder von ihnen ist Bewohner eines eigenen kleinen Buches.
Im fünften Band betritt nun ein gewisser Herr Kraus die Szenerie, genauer gesagt, die Redaktionsstube: ein heutiges Double des kakanischen Karl Kraus als Zeitungsredakteur, der erkannt hat, dass »die einzig objektive Form, sich zu Politik zu äußern, die Satire« ist. Und so schreibt Herr Kraus seine Kolumnen und versieht die strapazierten Schlagworte, Gemeinplätze und die Verhaltensweisen der politischen Akteure mit beißendem Spott.
»Was ist bei einer Fernsehdebatte wichtig?« Herr Kraus antwortete: »Der Reichtum der Argumente verliert (durch K. o.) gegenüber der Qualität der Bewegung des Stirnrunzelns. Wie viele Stimmen bringt ein Naserümpfen im richtigen Augenblick?! Wie sehr könnte die Antwort darauf zu kennen doch unser Vertrauen in die Demokratie erschüttern«, raunte Herr Kraus.
»O Senhor Kraus« von Gonçalo M. Tavares wurde mit dem Prix Littéraire Européen 2011 ausgezeichnet.
Quelle: Edition Korrespondenzen
Übersetzung: Michael Kegler